MOBILITÄT

„Mobilität der Zukunft: Zusammen oder gar nicht“

E-Mobilität, Pandemie, Klimawandel – unser Mobilitätsverständnis befindet sich im Wandel. Verkehrsforscherin Prof. Dr. Barbara Lenz vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt berichtet, wo Ansatzpunkte für eine Mobilität der Zukunft liegen, die alle mitnimmt.

Barbara Lenz
Ein Interview mit Barbara Lenz

Corona hat Mobilität verändert: Was war aus Ihrer Sicht die entscheidendste Veränderung? Was heißt das für die Mobilität der Zukunft und neue Mobilitätskonzepte?

Ja, Corona hat unsere Mobilität deutlich verändert. Diese Veränderung müssen wir berücksichtigen, wenn wir neue Mobilitätskonzepte erfolgreich umsetzen wollen. Im Zuge der Corona-Pandemie waren Orte plötzlich nicht mehr zugänglich, etwa bedingt durch Schließungen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat Mehrfachbefragungen zum Thema Mobilität während der Pandemie durchgeführt, die fünfte wurde im Dezember 2021 veröffentlicht. Über die gesamte Corona-Zeit hinweg war einer der am häufigsten geäußerten Wünsche der Befragten die Möglichkeit, endlich wieder uneingeschränkt und frei unterwegs sein zu können.

Corona hat auch das Wie der Mobilität verändert. Das hat besonders der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) zu spüren bekommen, der zeitweise mehr als die Hälfte seiner Kundinnen und Kunden verloren hatte. Gleichzeitig hat der Individualverkehr an Attraktivität gewonnen, es zieht die Menschen zurück ins Auto. Die Zunahme des Individualverkehrs ist auch in den großen Städten wie Berlin deutlich zu spüren, obwohl im innerstädtischen Bereich weniger als 50 Prozent der Haushalte ein Auto besitzen. Das macht nachhaltige, neue Mobilitätskonzepte aktueller denn je.

Haben Sie eine Vision der Mobilität der Zukunft? Welche Trends werden prägend sein?

Das Fahrrad hat das Potenzial für Fortschritt, für neue Mobilitätskonzepte. Gerade in der Stadt ist einiges in Bewegung geraten, es muss aber noch viel mehr getan werden. Wir brauchen eine Angebotsverbesserung in allen Städten, etwa in Form eines gut ausgebauten Netzes an breiten und sicheren Fahrradwegen. Und auch im ÖPNV sind Investitionen nötig, ein attraktives Angebot bedeutet neue emissionsarme Fahrzeuge, neue Bahnhöfe und barrierefreie Zugänge. Das sind die Grundlagen einer Mobilität der Zukunft. Trends darüber hinaus vorherzusagen ist schwierig. Sicher, wir werden in ein paar Jahren weitere Sharing-Modelle haben. Car Pooling ist ein solches Modell, die Idee, gemeinsam ein Fahrzeug zu nutzen. Das wird aber nicht alle Menschen gleichermaßen erreichen.

„Für eine breite Akzeptanz und Umsetzung müssen neue Mobilitätskonzepte ergänzende Optionen zum ÖPNV sein und dabei in ÖPNV-Tarife integriert werden.“

Ziel ist, sie für die Nutzerinnen und Nutzer so einfach und bequem wie möglich zu gestalten. Mobilität muss ganzheitlich gedacht werden.

Wie schaffen wir es, neue Mobilitätskonzepte für alle Bedürfnisse der Gesellschaft zu entwickeln – Stichwort Stadt- vs. Landmobilität, Individualverkehr vs. ÖPNV?

Klar ist, wenn der Autonutzung nicht durch steuernde Maßnahmen Grenzen gesetzt werden, dauert es zu lange, bis sich Mobilität grundlegend ändert. Die Zuständigkeit hierfür liegt bei der Politik, bei den Ländern und Kommunen. Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung ist beispielsweise vorgesehen, dass sich die „Flüssigkeit des Verkehrs“ nicht mehr nur am Autoverkehr orientieren soll. Mit einer entsprechenden Änderung der Straßenverkehrsordnung (StVO) bekommen die Kommunen eine andere Handhabe, um neue Mobilitätskonzepte umzusetzen. Der ÖPNV muss in den ländlichen Raum hinein ausgebaut werden, und bei den Pkw müssen E-Mobilität und Wasserstoff gefördert werden.

„In dem Moment, wo Schnelllademöglichkeiten auch außerhalb von Städten flächendeckend verfügbar sind, fällt die Reichweitenangst weg.“

Und innerhalb der Städte muss die entsprechende Infrastruktur, etwa in Form von Ladehubs, in die Quartiere gebracht werden. Dafür braucht es die Beteiligung von Kommunen, Energiewirtschaft und Wohnungswirtschaft. Das gilt nicht nur für neu entstehende Quartiere, die mit dieser Infrastruktur geplant werden, es müssen auch neue Mobilitätskonzepte entwickelt werden, die in den Bestand integriert werden können. Das DLR erarbeitet beispielsweise im Austausch mit Berliner Wohnungsgenossenschaften Konzepte, die bestehende Strukturen einbinden. Eine weitere Überlegung ist es, innerhalb von Quartieren Parkplätze, etwa von Bau- und Supermärkten, außerhalb der Geschäftszeiten als Flächen zur Verfügung zu stellen, auf denen Elektrofahrzeuge geladen werden können. Bei diesen Quartier-Lösungen brauchen wir die Immobilien- und Wohnungswirtschaft mit am Tisch.

Mobilität der Zukunft und Quartiere der Zukunft hängen eng zusammen. Was denken Sie, welche Rolle Infrastrukturgestaltende wie die Wohnungswirtschaft und Energiewirtschaft hier einnehmen können?

Die Politik ist aufgefordert, die vielen Fäden, die Mobilität heute ausmachen, zusammenzubringen. Und Wohnungswirtschaft und Energiewirtschaft müssen als Gestalter von Anfang an mit an den Tisch. Wollen wir nachhaltige Mobilität in Quartieren ausbauen, brauchen wir die Energiewirtschaft, die die entsprechende Energie bereitstellt, in einer aktiven Rolle. Das Thema Ladeinfrastruktur wird oft als Argument gegen die E-Mobilität genannt.

Gibt es Aspekte rund um das Thema Mobilität der Zukunft, die Wohnungs-und Energiewirtschaft vielleicht noch nicht sehen, aber im Blick haben sollten?

Ich möchte noch einmal auf die Wohnungswirtschaft zu sprechen kommen. Diese war lange Zeit bei Mobilitäts- und Nachhaltigkeitsthemen nicht sehr sichtbar. Heute spielt sie eine wichtige Rolle in Gremien wie beispielsweise dem Berliner Klimarat. Und die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft ist unverzichtbar, wenn wir auf die Gestaltung von Quartieren blicken. Wir sind da gerade an einem sehr spannenden Punkt. Und deshalb finde ich es wichtig, die positiven Beispiele in den Fokus zu rücken, die ein neues Denken wagen. Das Quartier Seestadt in Wien ist ein solches Beispiel. Dort wurde gezielt kein zentrales Einkaufszentrum geplant, sondern es wurde versucht, in diesem neu gebauten Quartier städtische Strukturen nachzubilden, so dass viele der Wohngebäude im Erdgeschoss über Einzelhandelsflächen verfügen. Das kann kommunal geplant werden, funktioniert aber nur, wenn die Immobilienwirtschaft diese Konzepte aufgreift und weiterträgt.

Welche weiteren Akteurinnen und Akteure gestalten neue Mobilitätskonzepte? Und was braucht es jetzt, damit diese erfolgreich auf die Straße und in die Quartiere kommen?

Wir haben bereits über die Beteiligung von Politik, Energiewirtschaft und Wohnungswirtschaft gesprochen. Bei der Entwicklung neuer Mobilitätskonzepte sollten wir nicht vergessen, dass auch die Wissenschaft wichtige Impulse geben und eine moderierende Funktion übernehmen kann, insbesondere wenn es um die ganz wichtige Einbindung der Nutzerinnen und Nutzer geht – wie müssen neue Angebote aussehen, welche Bedürfnisse können damit bedient werden? Vertrauensbildung ist entscheidend, wenn neue Mobilitätskonzepte für die gesamte Gesellschaft funktionieren sollen, dafür müssen wir auch die Fühler austrecken und quantifizieren, was für wen geht und wo es Grenzen gibt. Und beim Blick auf die Akteurinnen und Akteure dürfen wir die Automobilwirtschaft nicht vergessen: etablierte Unternehmen, aber auch Start-ups, die in den vergangenen Jahren wichtige Erfahrungen etwa im Bereich von neuen Carsharing-Geschäftsmodellen gesammelt haben. Und eben auch die ÖPNV-Betreiber.

Damit diese neuen Mobilitätskonzepte gesellschaftliche Akzeptanz erfahren, braucht es den Austausch der Beteiligten. Und ich denke, wir sind da auf einem guten Weg. Vor noch fünf bis zehn Jahren wäre das nicht möglich gewesen, wir haben also bereits wichtige Brücken gebaut, das Bewusstsein ist da: Es geht entweder zusammen oder gar nicht.

Welche Denkanstöße möchten Sie unseren Leserinnen und Lesern zum Thema Mobilität der Zukunft mit auf den Weg geben?

Wir alle sollten mit Blick auf die eigene Mobilität bewusster unterwegs sein. Ganz oben auf der Liste steht der Klimaschutz, aber auch die eigene Gesundheit, die bei unserem Verständnis von Mobilität oft zu kurz kommt, kann profitieren. Ich tue etwas für mich und meine Gesundheit, wenn ich das Rad nehme oder Strecken zu Fuß zurücklege. Und diese Formen der Mobilität helfen auch, die eigene Umgebung einmal ganz anders, bewusster wahrzunehmen. Dieses persönliche Umdenken ist wichtig, denn wir müssen viele sein, wenn wir etwas ändern wollen.

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