KONNEKTIVITÄT

Virtuelle Kraftwerke: Dezentralität braucht Plattformtechnologie

Je stärker die Entwicklung in Richtung einer dezentralen Energieversorgung fortschreitet, desto dringender braucht es Lösungen, die die Beteiligten und ihre Leistungen präzise koordinieren. Plattformtechnologie kann als Enabler dienen – zumindest vorerst, denn die nächste Disruption wartet schon.

Kai Wirtheim
ist im Business & Solution Development der Aareal Bank tätig.

Die Energieversorgung der Zukunft ist dezentral. Die Trend geht klar weg von wenigen, großen Kraftwerken –hin zu immer mehr und kleineren Einheiten, etwa in Form von Windrädern oder Photovoltaikanlagen: So hat sich die Stromerzeugung aus Erneuerbaren in Deutschland von 17 Milliarden Kilowattstunden (kWh) im Jahr 1991 auf 250 Milliarden kWh im Jahr 2020 erhöht, heißt es im Jahresbericht 2021 des Branchenverbands BDEW. 2.300 Firmen sind demnach derzeit auf dem Strom-, Gas- und Fernwärmemarkt aktiv (wobei der Verband anmerkt, dass viele der Unternehmen in mehreren Sparten und Wertschöpfungsstufen tätig sind und entsprechend mehrfach erfasst wurden). Um eine stabile, dezentrale Energieversorgung zu sichern, gilt es alle Akteure und ihre Leistungen optimal untereinander zu koordinieren und sie wie in einem Schweizer Uhrwerk präzise ineinandergreifen zu lassen, zum Beispiel in virtuellen Kraftwerken. Eine Mammutaufgabe.

250
Milliarden kWh

Stromerzeugung aus Erneuerbaren in Deutschland im Jahr 2020

Dezentrale Energieversorgung: Plattformtechnologie macht’s möglich

Ein wichtiger Enabler für diese dezentrale Energieversorgung ist moderne Plattformtechnologie. In der Energiewirtschaft kommt diese bereits an anderer Stelle zum Einsatz, etwa im Bereich des Zahlungsmanagements. So können energiewirtschaftliche Unternehmen ihr Forderungsmanagement mit der Aareal Exchange & Payment Platform optimieren und ihrer Kundschaft neue, zusätzliche Zahlungswege anbieten. Diesen innovativen Angang gilt es nun zu skalieren. Der Schritt ins nächste, größere Plattformprojekt fällt auf Basis bereits gesammelter Erfahrungen viel leichter.

„Der Schritte ins nächste, größere Plattformprojekt fällt auf Basis gesammelter Erfahrungen viel leichter.“

Die Potenziale sind gewaltig: Mit Hilfe von Plattformtechnologie lassen sich dezentrale Energiequellen zu virtuellen Kraftwerken bündeln. Heiß diskutiert werden im Moment sogenannte Flexibilitätsplattformen, auf denen Marktteilnehmende vorhandene Flexibilitäten (das sind etwa Speicher, Wärmepumpen oder E-Fahrzeuge) frei handeln können. Schwankungen in der dezentralen Stromversorgung lassen sich darüber ausgleichen. In seiner Studie „EVU-Zielarchitekturen von morgen“ (2021) nennt PwC das „Smart-Grid-Ampelkonzept“ des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft beispielhaft als Modell dafür, wie Marktteilnehmende und Verteilnetzbetreibende in Zukunft innerhalb einer intelligent vernetzten Infrastruktur interagieren könnten.

„Wie die Ampel auf der Straße den Verkehr regelt, so verfolgt die Idee der Netzampel den Ansatz einer im Stromnetz aktiven Ampel, die steuerbare Komponenten im Nieder- und Mittelspannungsnetz so steuert, dass Engpässe in der stromversorgenden Infrastruktur vermieden werden können“, heißt es dazu in der PwC-Studie. Steht die Ampel auf Grün, sind demnach keine Netzengpässe zu erwarten. Bei „Rot“ gibt es einen Engpass und Netzbetreiber müssen zum Beispiel einzelne Anlagen für einen gewissen Zeitraum abschalten. Um das zu verhindern, umfasst das Ampel-Modell die Phase „Gelb“: Darin zeichnet sich ein Engpass ab; es werden vorhandene Flexibilitäten abgerufen, um ein umspringen auf „Rot“ abzuwenden.

Dezentrales Internet: Die nächste Disruption wartet schon

Noch haben sich keine einheitlichen Plattform-Standards für den Betrieb virtueller Kraftwerke durchgesetzt. Absehbar ist jedoch, dass dezentrale Energie nur mittels derlei zentralisierter Lösungen zu managen sein wird – zumindest in den nächsten Jahren. Denn die Technologie entwickelt sich rasant weiter. Mit dem sogenannten Web3 etwa zeichnet sich schon die nächste Disruption am Horizont ab.

Zum Hintergrund: „In den frühen 1990er Jahren änderte das World Wide Web die Art und Weise, wie Menschen miteinander kommunizieren und sich informieren, nachhaltig“, berichtet ein t3n-Artikel zum Web3: „Mit dem Aufkommen von sozialen Medien und E-Commerce-Plattformen entwickelte sich das Web weiter zum Web 2.0. Diese Phase war und ist geprägt von direkten sozialen Interaktionen, die nicht – oder kaum – von Ländergrenzen eingeschränkt werden.“ Allerdings hatte und hat diese Entwicklung auch negative Effekte: Unternehmen, so heißt es bei t3n weiter, könnten über die Priorisierung bestimmter Inhalte entscheiden. Auch, dass die Nutzerdaten so vieler Menschen in den Händen – und auf den Servern – so weniger, großer Player lägen, zählt sicher zu den problematischen Seiten des Web 2.0.

Web3: Vision des dezentralen Internets

Das Web3 ist der Gegenentwurf hierzu. Es ist die Vision eines dezentralen Internets, basierend etwa auf Blockchain-Technologie. Das Web3 soll den sicheren Austausch von Daten auf dezentrale Weise ermöglichen, ohne dass die – aktuell so dringend gebrauchten – Plattformen überhaupt ins Spiel kommen müssen. Zwar wird sich diese Entwicklung nicht von heute auf morgen vollziehen, aber dennoch gilt: Mittel- bis langfristig wird der Wandel vom zentralisierten hin zu einem mehr und mehr dezentralen Internet auch für die Energiewirtschaft nicht ohne Folgen bleiben. Schon gibt es erste Pilotprojekte mit virtuellen Kraftwerken, die mittels Blockchain betrieben werden.

„Die Energiewirtschaft muss sich von dem Gedanken verabschieden, dass sie aktuell ein neues Energiesystem erarbeitet, das dann für die nächsten hundert Jahre funktioniert.“

Was heißt das nun? Die Branche wird sich von dem Gedanken verabschieden müssen, dass sie aktuell ein neues Energiesystem erarbeitet, das dann für die nächsten hundert oder mehr Jahre funktioniert. Eine der Kernaufgaben für Energieakteure wird es werden, mit den technischen Entwicklungen Schritt zu halten und sie intelligent zu nutzen, um so die Energieversorgung der Zukunft zu sichern. In einer digitalen Welt verkürzen sich die Innovationszyklen massiv – der Energiemarkt wird sich auch in diesem Sinne flexibilisieren müssen.

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