Mit den Jugendlichen von heute strömt bald eine neue Generation von Zukunftsgestaltern auf den Arbeitsmarkt, die in vielen Fragen fundamental anders tickt als heutige Mitarbeitende. In Zeiten des Fachkräftemangels sollten sich Wohnungs- und Energiewirtschaft jetzt vorbereiten.
Kerstin Heuer ist Gründerin der gemeinnützigen Bildungsinitiative Futurepreneur e.V.
Der Fachkräftemangel hat die deutsche Wirtschaft fest im Griff: In der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft etwa fehlen laut einer Personalentwicklungsstudie im Auftrag des Europäischen Bildungszentrums (EBZ) in 62 Prozent der Unternehmen Fachkräfte. Und in der Energiewirtschaft könnte die Personalnot sogar die Energiewende ausbremsen: So fehlen Fachkräfte im Handwerk, die für die Energie- oder Verkehrswende gebraucht werden.
62 Prozent
der Wohnungs- und Immobilienunternehmen beklagen Fachkräftemangel
Quelle: Personalentwicklungsstudie EBZ
Auch die Aussichten sind alles andere als rosig: So prognostiziert das Institut der Deutschen Wirtschaft, dass die Anzahl der beruflich Qualifizierten bei einem mittleren Zuwanderungssaldo von 31,6 Millionen (2020) auf nur noch 23,3 Millionen im Jahr 2040 absinken dürfte. Die Folge: Unser Arbeitsmarkt wandelt sich vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt, in dem gut ausgebildete Menschen sich aussuchen können, wo, für wen und unter welchen Bedingungen sie tätig werden möchten.
Mehr denn je müssen Unternehmen – aus der Wohnungswirtschaft und Energiewirtschaft genauso wie aus anderen Branchen – deshalb ein attraktives Arbeitsumfeld bieten. Dafür ist eines essenziell wichtig zu verstehen: Zukunftsgestalter und Fachkräfte von morgen ticken in einigen Belangen fundamental anders als die vorangehenden Generationen. So sind die jungen Menschen heute stark geprägt vom Megatrend Konnektivität, der umfassenden Vernetzung von allem und jedem. Sie sind die wahren Digital Natives, hineingeboren in eine digitalisierte Welt. Sie agieren und reagieren wahnsinnig schnell, haben in Rekordgeschwindigkeit alle nötigen Informationen recherchiert, sind bestens vernetzt im Digitalen und denken mühelos global. Das alles sind wichtige Future Work Skills. Auf der anderen Seite beobachten wir in unserer täglichen Arbeit mit Jugendlichen oft, dass sie sich nur kurz auf das Hier und Jetzt konzentrieren können und eine geringe Frustrationstoleranz haben. Manche Unternehmen erkennen bei jüngeren Beschäftigten schon heute eine Tendenz zum „Job-Tindern“: Wenn ihnen etwas nicht gefällt, sind sie weg. Dieses Phänomen wird sich meiner Einschätzung nach sicher noch verstärken.
„Corona hat uns vor Augen geführt, dass wir immer beides brauchen: Kompetenz im Digitalen und Erdung im Analogen.“
Was also wünschen sich Jugendliche für ihr Arbeitsleben? Sie möchten gesehen und wertgeschätzt werden mit ihren Stärken, und sie möchten sich als Teil eines Teams fühlen. Das ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis – und ein guter Ansatzpunkt für Unternehmen. Die aktuelle Generation von Jugendlichen ist zwar im Digitalen bestens vernetzt, im Lokalen aber oft sehr einsam. Die Corona-Pandemie hat uns allen eindrucksvoll vor Augen geführt, dass absolute Konnektivität und Globalität nicht ausreichen. Wir brauchen immer beides – Kompetenz im Digitalen und Erdung im Analogen und Lokalen. Die Vernetzung vor Ort, die Bindung in sozialen Gruppen, findet für viele Digital Natives heute in der Außenwelt viel weniger statt als früher. Auf dem Land gibt es vielleicht noch die freiwillige Feuerwehr oder ähnliches, in den Städten allerdings sieht es mau aus mit Verankerungspunkten in der realen Welt.
Auch fehlt es Jugendlichen oft an Möglichkeiten, ihre Future Work Skills wirklich zu entdecken und zu trainieren. Die jungen Leute brauchen Handlungsräume, in denen sie risikofrei Erfahrungen sammeln und sich ausprobieren können. Denn nur so können sie „Futurepreneure“ werden. Unsere Gesellschaft ist angewiesen auf Menschen, die selbstbestimmt etwas auf die Beine stellen, die intrinsisch motiviert neue Ideen, Produkte oder Lösungen entwickeln. Das geht nur, wenn wir Freiräume schaffen.
Jungen Zukunftsgestaltern diese Räume des Ausprobierens zur Verfügung zu stellen, sie mit ihrem Skillset in Kontakt zu bringen, daran arbeiten wir als Verein mit unseren Programmen, dem viertägigen „Campusunternehmer“ in Kooperation mit Schulen und dem Ferienprogramm „Sommerunternehmer“. Wir wollen diese Flamme entzünden und den Jugendlichen zeigen, wie viel Spaß es macht, selbst zu gestalten. In unserer Arbeit sehen wir täglich, dass sich sehr viel Potenzial in den jungen Menschen heben und aktivieren lässt – unabhängig von Noten und Hintergrund. Betriebe haben die Möglichkeit, genau dort anzuknüpfen, um dem Fachkräftemangel Paroli zu bieten. Sie können genau diese „entzündeten“ Zukunftsgestalter von morgen in ein Team integrieren, an das diese sich binden und auf dieser Grundlage ihr volles Potenzial entfalten können. Und sie können (und müssen) heute schon damit beginnen, sich von starren Hierarchien zu lösen, jungen Menschen Gestaltungs- und Freiräume zu geben, ihnen aber auch Verantwortung zuzutrauen. In Schweden beispielsweise wird das oft sehr schön gelebt, dort gibt es eine Unternehmenskultur von „Wir trauen dir das zu; wir gehen diesen Weg zusammen“.
„Wertschätzung, Gestaltungsspielraum, soziales und ökologisches Engagement – das sind die Kriterien, die für Futurepreneure die Attraktivität eines Unternehmens ausmachen.“
Darin liegt übrigens auch eine große Chance zum Beispiel für Mittelständler – und damit auch für einen beträchtlichen Teil der in der Wohnungs- und Energiewirtschaft vertretenen Unternehmen: Sie können qualifiziertes Personal vielleicht nicht so sehr über ihren Namen oder die bekannte Marke anlocken, wohl aber über eine neue Unternehmenskultur. Diese freiere Art der Unternehmensführung mutet vielleicht etwas undeutsch an. Ich denke aber, dass sie ein essenzieller Schritt in Richtung Future of Work ist. Gestaltungsspielraum, Wertschätzung, soziales und ökologisches Engagement – das sind die Kriterien, die für junge Menschen die Attraktivität eines Unternehmens ausmachen. Wer dem Fachkräftemangel wirksam entgegentreten möchte, sollte sich frühzeitig daran orientieren.
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