Kooperation
Smart Buildings: Wir müssen ins Tun kommen!
Wohnungs- und Energiewirtschaft sollten Pilotprojekte zu Smart Buildings, IoT und Co. starten. Die EU-Klimataxonomie wirkt als wichtiger Treiber.
Jeder ist mit jedem verbunden: Dem Megatrend Konnektivität können sich auch Wohnungs- und Energieunternehmen nicht entziehen. Wo stehen die Branchen in Sachen Konnektivität – und wohin soll die Reise gehen?
„Der Megatrend Konnektivität beschreibt das dominante Grundmuster des gesellschaftlichen Wandels im 21. Jahrhundert: das Prinzip der Vernetzung auf Basis digitaler Infrastrukturen“, heißt es beim renommierten Zukunftsinstitut. „Vernetzte Kommunikationstechnologien verändern unser Leben, Arbeiten und Wirtschaften grundlegend. Sie reprogrammieren soziokulturelle Codes und bringen neue Lebensstile, Verhaltensmuster und Geschäftsmodelle hervor.“
Wie vernetzt die Welt heute tatsächlich ist, zeigt die Deutsche Post DHL Group in ihrem DHL Global Connectedness Index 2020, der internationale Handels-, Kapital-, Informations- und Personenströme aus 169 Ländern analysiert. Demnach steigt die digitale Vernetzung immer weiter, zusätzlich haben die internationalen Datenströme durch die Coronakrise einen zusätzlichen, enormen Schub bekommen. Europa ist der Erhebung zufolge die am stärksten globalisierte Region und führt bei den Handels- und Personenströmen. Nordamerika hingegen hat in Sachen Informations- und Kapitalströme die Nase vorn.
Europa ist die am stärksten globalisierte Region der Welt.
Quelle: DHL Group
Konnektivität als Megatrend löst einen tiefgreifenden Wandel in unserer Gesellschaft aus. Kaum ein Bereich bleibt unberührt – auch nicht die Wohnungs- und die Energiewirtschaft. Allerdings betrachten beide Branchen den Megatrend aus ihrer eigenen Brille heraus, deuten ihn entsprechend unterschiedlich und gehen auch verschieden damit um. Zeit für eine Bestandsaufnahme!
„Mit dem Smart Home wird die Digitalisierung der eigenen vier Wände bezeichnet. Smart bezieht sich in diesem Fall auf die Vernetzung intelligenter Geräte im Eigenheim […]. Dabei verfolgt das intelligente Zuhause stets das Ziel, seinen Bewohnerinnen und Bewohnern den individuellen Alltag zu vereinfachen sowie die Lebensqualität und Sicherheit zu erhöhen“
Die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft bezieht den Begriff der Konnektivität vor allem – wenig verwunderlich – auf ihre Gebäude. Viel diskutierte und vielversprechende Zielbilder von Konnektivität sind für die Immobilienprofis zum Beispiel die Konzepte von Smart Living (auch: Smart Home) sowie Smart Building. Deren Unterschiede bringt Dr. Peter Staub, bei der HWZ auf den Punkt: „Mit dem Smart Home wird die Digitalisierung der eigenen vier Wände bezeichnet. Smart bezieht sich in diesem Fall auf die Vernetzung intelligenter Geräte im Eigenheim […]. Dabei verfolgt das intelligente Zuhause stets das Ziel, seinen Bewohnerinnen und Bewohnern den individuellen Alltag zu vereinfachen sowie die Lebensqualität und Sicherheit zu erhöhen“, so der Dozent und Studiengangsleiter des CAS Digital Real Estate. „Ein Smart Building befasst sich derweilen mit der Digitalisierung des gesamten Gebäudes. Im Kern konzentriert es sich auf die automatisierte Steuerung der technischen Ausstattung zum Zweck einer gesteigerten Gebäudeeffizienz, einer möglichst positiven Energiebilanz und verfolgt insbesondere das Ziel, Kosten und Treibhausgasemissionen einzusparen […].“
Schnell wird deutlich: Wenn man über Konnektivität im Immobiliensektor nachdenkt, sind intelligente Geräte im Sinne des Internet of Things (IoT) und zukunftsweisende Services und Anwendungen auf Basis von Künstlicher Intelligenz (KI) nicht fern. Der vielzitierte Kühlschrank, der meldet, dass der Joghurt knapp wird, ist dabei längst nicht mehr das Ende der Fahnenstange. Im Rahmen des europäischen Projektes GAIA-X entwickeln Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik gemeinsame Anforderungen an eine europäische Dateninfrastruktur. In dem Zuge befassen sie sich auch mit Smart Living und haben drei vielversprechende Einsatzbereiche identifiziert:
„In der Zukunft werden unsere Lebensmittel direkt in den Kühlschrank geliefert. Der Reinigungsservice bringt die Hemden. Dabei ist eine Frage entscheidend: Wer darf wann zu welchem Zweck in meine Wohnung?“. Um Sicherheit, Privatsphäre und Komfort im Smart Living unter einen Hut zu bringen, braucht es laut GAIA-X ein intelligentes, KI-gestütztes Identity- und Access-Management, das nicht nur sämtliche Geräte und die Bewohner eines Objekts umfasst, sondern auch Vermieter, Lieferanten, Techniker & Co.
Mit Blick auf AAL (Alltagsunterstützende Assistenzlösungen) soll Smart Living helfen, älteren, kranken oder pflegebedürftigen Menschen ein möglichst eigenständiges Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Dazu beitragen können diverse AAL-Anwendungen von der Herdüberwachung über Inaktivitätsmelder bis hin zum Sprachassistenten. Laut GAIA-X gilt es nun, die Abläufe zwischen Systemen und Dienstleistern zu organisieren und AAL-Systeme als zusätzliche Datenquelle zugänglich zu machen.
Wer darf wann und zu welchem Zweck in welche Wohnung? Smart-Living-Konzepte müssen immer auch Fragen der Sicherheit beantworten.
Möglichst eigenständig in den eigenen vier Wänden leben bis ins hohe Alter: Dabei helfen "Alltagsunterstützende Assistenzlösungen" (AAL).
Etwa 35 Prozent des Endenergieverbrauchs findet heute in den eigenen vier Wänden statt – bis 2050 allerdings soll der Gebäudebestand im Rahmen der Energieeffizienzstrategie nahezu klimaneutral sein. Um das zu schaffen, gilt es GAIA-X zufolge unter anderem, alle relevanten Energieverbraucher, -erzeuger und -speicher miteinander zu vernetzen – und zwar gebäudeübergreifend und datenbasiert.
Das Potenzial von Smart Living ist riesig: 23 Millionen Mietwohnungen in Deutschland könnten den GAIA-X-Forschern zufolge mit intelligenten Geräten und KI-basierten Services ausgestattet werden: „Smart Living umfasst heute noch völlig getrennte Gewerke, die künftig in domänenübergreifenden Anwendungen zusammenspielen. Diese Anwendungen erfordern intelligente, situationsadaptive Gebäude, die sich nahtlos in übergreifende Strukturen einfügen.“ Kurz gesagt: Mehr Konnektivität muss her – und zwar auf allen Ebenen.
23 Millionen Mietwohnungen in Deutschland könnten mit intelligenten Geräten und KI-basierten Services ausgestattet werden
Mehr Konnektivität: Das wünscht sich auch die Energiewirtschaft, denkt dabei allerdings weniger an Gebäude, sondern vor allem – auch das liegt in der Natur der Sache – an Netze und Infrastrukturen. Heiß diskutiert wird vor allem der Ausbau des 5G-Netzes: „‚5G‘ bezeichnet das Netz der fünften Mobilfunkgeneration und ist damit direkter Nachfolger von LTE bzw. Advanced LTE (4G) und UMTS (3G). Der neue Standard zielt auf höhere Datenraten, verbesserte Kapazität und ein intelligentes Netz ab“, erklärt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Viele Akteure der Energiewirtschaft begreifen 5G als notwendige Basis, um Smart Meter und andere intelligente Geräte in einem smarten Ökosystem zu vernetzen, die dabei entstehenden Datenmengen handhaben und sie in nutzwertige Services übersetzen zu können. Internet of things, Big Data, Künstliche Intelligenz – all diese Aspekte von Konnektivität können nur greifen, wenn ihnen funktionierende Technologien und eine gut ausgebaute Netzinfrastruktur zugrunde liegen.
Die Berater von Detecon Consulting haben in einer Marktumfrage (2019) herausgefunden, welche Anwendungsszenarien Energieunternehmen rund um 5G für ihr Unternehmen sehen. Dabei zeichnen sich zwei Richtungen ab: Zum einen sehen die Versorger Potenzial darin, ihr eigenes Business mithilfe von 5G effizienter zu gestalten oder auszubauen, indem sie etwa Energienetze besser steuern oder sich am Aufbau von Smart Cities beteiligen können. Mit 84 Prozent bescheinigen die Befragten besonders 5G-Anwendungen im Bereich der Industrie 4.0 große Erfolgsaussichten in der Zukunft, gefolgt von je 63 Prozent für Mobilität & Logistik sowie für Betriebsfunk und M2M/IoT für Infrastrukturanbieter. Zum anderen stellt Detecon in seiner Umfrage eine große Bereitschaft der EVU fest, den nationalen Rollout mit eigenen Infrastrukturleistungen zu unterstützen: Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen wäre demnach bereit, Mobilfunkanbietern Glasfaser, Strom oder Standorte dafür anzubieten.
Auch das Internet of Things als Überbegriff für intelligente Geräte, die mit dem Internet verbunden sind und darüber miteinander kommunizieren und Aufgaben übernehmen können (Gabler Wirtschaftslexikon), findet in der Energiewirtschaft im Kontext der Konnektivität viel Beachtung. Diskutiert wird das Internet der Dinge etwa im Zusammenhang mit Smart Metern. Diese intelligenten Messsysteme sollen die Energiewende voranbringen, indem sie Verbrauchern und Unternehmen eine einfachere Handhabung ihres Stromverbrauchs und ihrer möglichen Einspeisung ermöglichen – und gleichzeitig für eine bessere Auslastung des Stromnetzes sorgen (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie). Größer gedacht ermöglicht IoT den Aufbau virtueller oder dezentraler Kraftwerke: Der großflächige Einsatz intelligenter Geräte ist unbedingte Voraussetzung dafür, dass solche Zusammenschlüsse von verschiedenen Energielieferanten funktionieren. Eine Herausforderung der wetterbedingter Energieproduktion ist laut Energie-digitalisieren.de, dass sich Menge des produzierten Stroms nicht beeinflussen lässt: Eine intelligente Steuerung aber kann in virtuellen Kraftwerken dafür sorgen, dass bei Windstille die Produktion eines Blockheizkraftwerks angekurbelt wird.
Der Megatrend Konnektivität ist also in beiden Branchen angekommen, beide sehen die damit verbundenen Chancen und gehen entsprechend Konnektivitätsprojekte an – sei es in den Teilbereichen IoT, KI, Big Data oder Plattformen. Noch allerdings können weder die Energie- noch die Wohnungswirtschaft das volle Potenzial der Konnektivität ausschöpfen. Und das liegt vor allem an zwei zentralen Herausforderungen.
Herausforderung A:
Gemeinsame Definition
von Konnektivität
Beide Branchen betrachten den Megatrend stark aus ihrer eigenen Brille heraus und kommen auf dieser Basis zu unterschiedlichen Ideen, was Konnektivität eigentlich bedeutet – und was sich daraus nun machen lässt.
Um in größeren Dimensionen denken zu können, muss es das erste Ziel sein, ein gemeinsames Verständnis von Konnektivität herzustellen, das die vielen verschiedenen Dimensionen der Konnektivität umfasst, etwa technologisch, (infra-)strukturell und auf Akteurs- sowie Organisationsebene.
Dieses gemeinsame Verständnis ist dringend nötig als kleinster, gemeinsamer Nenner – als Basis für einen gemeinsamen Umgang mit Konnektivität.
Herausforderung B:
Konnektiver Angang an
Themen und Projekten
Bei der Konnektivität ist der Name leider noch nicht Programm: Viele Konnektivitätsprojekte verharren derzeit auf Branchen- oder gar Unternehmensebene und werden dem übergreifenden Anspruch, der der Konnektivität zugrunde liegt, nicht gerecht.
So schreibt zum Beispiel der Bundesverband Digitale Wirtschaft in einer Studie zu Smart Buildings, es fehle „sowohl an starken Allianzen und Partnerschaften als auch an einer grundlegenden Bereitschaft, in Zukunftsfähigkeit zu investieren. Einzelne Experten machten darauf aufmerksam, dass die Industrie noch nicht übergeordnet, sondern nur in Teilbereichen über Smartness nachdenkt.“ Ähnliches stellen auch die GAIA-X-Projektbeteiligten in Bezug auf das Thema Energieeffizienz fest: „Die makroökonomische oder übergreifende Energieeffizienz von einzelnen Gebäuden über Quartierslösungen bis hin zu Smart City ist ohne übergreifende, interoperable Vernetzung über lokale Grenzen hinweg nicht umsetzbar.“
Es gilt also, den Blick aufzumachen und Konnektivität über Unternehmens- und auch Branchengrenzen hinweg zu denken und zu bearbeiten. Noch nie war Kooperation so gefragt wie heute.
Konnektivität, Urbanisierung, Mobilität & Co. – in unserer LinkedIn-Community dreht sich alles um Themen, die die Wohnungs- und Energiewirtschaft bewegen.
Wohnungs- und Energiewirtschaft sollten Pilotprojekte zu Smart Buildings, IoT und Co. starten. Die EU-Klimataxonomie wirkt als wichtiger Treiber.