KONNEKTIVITÄT

Erfolgsfaktor
„organisationale Ambidextrie“

In einer von Konnektivität geprägten Welt sollten sich Unternehmen in organisationaler Ambidextrie üben: In ihrem Gastbeitrag beleuchtet apl. Prof. Stephanie Birkner vom universitären An-Institut
ZUKUNFT.unternehmen, wie dies gelingen kann.

Apl. Prof. Stephanie Birkner
Ein Gastbeitrag von apl. Prof. Dr. Stephanie Birkner

Der Megatrend Konnektivität greift um sich: Nie zuvor war die Welt so vernetzt wie heute – nie zuvor war die Menschheit über den gesamten Globus hinweg so eng miteinander verbunden. Das beeinflusst nicht nur unseren privaten Alltag, sondern sorgt auch in der Wirtschaft für Bewegung: So hat etwa die Gründerszene die Vernetzung längst als wichtigen Erfolgsfaktor für sich erkannt. Ihrem Vorbild folgend sollten sich auch Unternehmen, die in Zeiten der Konnektivität bestehen und die Entwicklung erfolgreich mitgehen wollen, öffnen und mehr Vernetzung wagen.

Doch für viele Organisationen ist das leichter gesagt als getan, bedeutet es für sie doch einen Ausbruch aus gewohnten Mustern und etablierten Handlungsweisen. In einem ersten Ansatz suchen derzeit viele Unternehmen die Kooperation mit der Gründungsszene: ein wichtiger, erster Schritt, um über die Grenzen des eigenen Unternehmens hinauszublicken. Gleichzeitig möchte ich die Firmen aus Wohnungs- und Energiewirtschaft genauso wie aus anderen Branchen ermutigen, noch einen Schritt weiter zu gehen und sich in die (analoge oder digitale) Kollaboration und Konnektivität zu wagen.

Kooperation, Kollaboration, Konnektivität: Was ist der Unterschied?

Der Unterschied ist folgender: Eine Kooperation wähle ich bewusst, suche mir dafür sehr gezielt bestimmte Partnerschaften aus. Bei der Kollaboration dagegen lasse ich mehr Umfeld zu. Und bei der Konnektivität bin ich selbst das Umfeld, bin Teil des großen Ganzen. Das große Potenzial von Konnektivität und Kollaboration – mit der Start-Up-Szene oder anderen Akteuren – liegt aus meiner Sicht in dem viel größeren Grad an Vielfalt, der wirksam werden kann. Um ein Beispiel zu nennen: Die Gendered-Innovations-Forschung befasst sich mit Produkten mit unbewussten Diskriminierungseffekten. Etwa mit Crash-Test-Dummies oder der Medikamentenforschung, die den weiblichen Körper viel zu oft außer Acht lassen – oder umgekehrt mit Babytragen, die keinem Mann passen. Solche Dinge fallen in Kooperationen typischerweise nicht auf, sondern nur über Kollaborationen und Konnektivität, die die Vielfalt der Welt abbilden und einbringen.

„Konnektivität bringt mittels Zufallsfaktor neue Perspektiven ins Spiel.“

Das grundlegende Problem an der Kooperation ist, dass ich immer nur nach dem fragen kann, was ich schon kenne. Ich bleibe in meinem Kosmos gefangen. Konnektivität hingegen hinterfragt Grundprinzipien. Sie bringt mittels Zufallsfaktor neue Perspektiven ins Spiel. Das lässt sich etwa am Auto als konkretem Beispiel festmachen: In Kooperationen stellen wir fest, dass der Verbrennungsmotor am Ende ist, Elektromobilität allerdings funktioniert – also bauen wir Hybridmotoren. Kollaborations- oder Konnektivitätsansätze aber würden Mobilität vollkommen neu denken und stattdessen vielleicht fragen: Brauchen wir überhaupt noch Autos?

Analoge und digitale Kollaboration: Gründungsszene als Vorbild

Um mehr Konnektivität zu leben, brauchen etablierte Unternehmen meines Erachtens eine neue Form des Denkens und Handelns. Das gilt für die analoge Zusammenarbeit genauso wie für die digitale Kollaboration. Ein guter Ansatz hierfür ist die sogenannte organisationale Ambidextrie (wörtlich: „Beidhändigkeit“), die heute in der Gründungsszene vielfach gelebt wird: Sie setzt auf ein stetiges Überprüfen des Erhaltenswerten und die Entwicklung von Innovationen um diesen festen Kern herum. Dass die Ambidextrie in der Gründungsszene so verbreitet ist, zeigt doch: Selbst Start-ups haben etwas Festes, das sie erhalten möchten – sie müssen es aber dauernd hinterfragen. Stimmt unsere Geschichte noch, kommt sie beim Gegenüber richtig an? Dieses ständige Überprüfen machen viele etablierte Unternehmen einfach nicht mehr, weil sie eine Marke aufgebaut haben, die für sich spricht. Sie erzählen ihre Geschichte zwar noch, aber sie erzählen sie nicht mehr neu. Kurz gesagt sehe ich die Gefahr, dass die Etablierten sich nicht mehr auf ihr Gegenüber einlassen, sondern sich ein Stück weit ihre eigene Welt bauen und dann nicht mehr aus ihr herauskommen.

Ambidextrie: Organisationen müssen immer wieder neu denken

Das Ziel aber muss doch sein, nicht nur Produkte und Lösungen, sondern sogar Geschäftsmodelle immer wieder neu zu denken. Wohnungsunternehmen, Energieversorger und andere Unternehmen brauchen deshalb zusätzliche, neue Jobprofile: Sie brauchen Mitarbeitende, die sich offen umschauen dürfen, reisen, hinterfragen und abtasten, wie und mit wem sich das Geschäftsmodell des Unternehmens weiterentwickeln könnte. Es ist doch so: Nur, wer seinen Weg immer wieder kritisch hinterfragt, kann auch seine Geschichte immer wieder neu erzählen. Und das ist ein hoher Wert: Geschichten entfachen ein regelrechtes Feuerwerk in unserem Kopf, und zwar beim Zuhören und Erzählen gleichermaßen. Geschichten zu hören und zu erzählen ist ein wichtiger Konnektivitätspunkt.

„Wir müssen Zukunft als gestaltbar annehmen.“

Darüber hinaus müssen wir Antworten auf viele Fragen finden: Brauchen wir etwa neue Orte für Konnektivität, sowohl digital als auch physisch? Brauchen wir neue Rollen für Menschen und ihre Transferaufgaben? Extrem wichtig ist auch die Frage, wie wir auf Krisen blicken. Eine wichtige Grundhaltung für die Konnektivität ist das sogenannte Lemonade Principle als Art der Krisendiagnose. Es geht zurück auf eine Zeit, in der auf Plantagen riesige Berge von überreifen Limonen entsorgt wurden – Kinder haben daraus Limonade gemacht und sie verkauft. Der Schluss daraus lautet: Wir müssen Zukunft als gestaltbar annehmen. Jetzt ist Change by Design gefragt – wir sitzen am Steuer und haben die Möglichkeit der Gestaltung.

Konnektivität: Forschung, Wirtschaft & Co. brauchen neue Wertigkeiten

Und damit ist es nicht getan: Zusätzlich nämlich benötigt Konnektivität ein eigenes, neues Ökosystem mit neuen Währungen und Wertigkeiten, die nicht nur auf Euros basieren. Forschende werden mit A+-Publikationen bei Unternehmen nicht punkten – und Unternehmerinnen und Unternehmer in der Wissenschaft nicht mit Marktzahlen. Ich denke hier zum Beispiel an Daten oder Wissensaustausch, an soziales Kapital. Es müssen für beide Seiten Mehrwerte entstehen.

„Jede Frage ist ein neuer Konnektivitätspunkt.“

Last not least ist es aus meiner Sicht extrem wichtig, das Fragen wieder normal zu machen. Auch hochdekorierte Forschende oder Unternehmerinnen und Unternehmer müssen sich in Lernbegegnungen treffen und einfach mal ganz offen nachfragen können, wenn sie etwas nicht wissen. Diese Menschen sind ansonsten in Positionen, in denen sie Aussagen treffen müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass das Fragen wieder en vogue wird. Denn jede Frage ist ein neuer Konnektivitätspunkt.

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